Unbefristeter Streik in Brasilien

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24.08.2015 Arbeitnehmervertreter fordern sofortige Rücknahme von 1.500 Kündigungen im Nutzfahrzeugwerk Sao Bernardo do Campo/Brasilien

Pressemitteilung des Gesamtbetriebsrats vom 24.8.2015

  • Die Daimler AG hat 1.500 Beschäftigten des Produktionswerks Sao Bernardo do Campo über ihre Kündigung zum 1.9.2015 informiert.
  • Die Belegschaft des brasilianischen Mercedes-Benz Werks ist zum Protest gegen diese Entscheidung mit der Frühschicht am heutigen Tag in einen unbefristeten Streik getreten.
  • Michael Brecht, Vorsitzender der Weltarbeitnehmervertretung der Daimler AG: "Wir fordern die Unternehmensleitung auf, die Kündigungen umgehend zurückzunehmen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Es muss ein Kompromiss gefunden werden, der für die Belegschaft und das Unternehmen gleichermaßen tragbar ist. Unseren streikenden brasilianischen Kolleginnen und Kollegen gehört unsere uneingeschränkte Solidarität."

Stuttgart/Sao Bernardo do Campo. Seit Monaten schwelt ein Konflikt zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern bei Mercedes-Benz do Brasil über die Folgen des drastischen Rückgangs des brasilianischen Nutzfahrzeugmarkts für die Belegschaft im Produktionswerk Sao Bernardo do Campo. Dieser ist nun eskaliert: am letzten Freitag wurde 1.500 Beschäftigten die Kündigung zum 1.9.2015 zugestellt.
Daraufhin ist die Belegschaft des Werkes (rund 10.000 Beschäftigte) mit der Frühschicht am heutigen 24.08.2015 in einen unbefristeten Ausstand getreten, um die Unternehmensleitung zur Rücknahme der Kündigungen zu bewegen. Seit Beginn des Jahres verhandeln Unternehmensleitung und die Metallarbeiter-Gewerkschaft CNM/CUT über die Zukunft der Beschäftigung im brasilianischen Nutzfahrzeug-Werk der Daimler AG.

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Michael Brecht, Vorsitzender der Weltarbeitnehmervertretung der Daimler AG: "Wir fordern die Unternehmensleitung auf, die Kündigungen umgehend zurückzunehmen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Es muss ein Kompromiss gefunden werden, der für die Belegschaft und das Unternehmen gleichermaßen tragbar ist.
Das geht nur im gemeinsamen, konstruktiven Gespräch und nicht dadurch, dass einseitig Fakten geschaffen werden. Dieses Vorgehen des Unternehmens verurteilen wir scharf. Unseren streikenden brasilianischen Kolleginnen und Kollegen gehört unsere uneingeschränkte Solidarität."

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Hintergrund der Entwicklung ist ein drastischer Rückgang des brasilianischen Marktes für Nutzfahrzeuge. Erwartet wird, dass er in diesem Jahr um über 40 % gegenüber 2014 schrumpft - ausgehend von einem ohnehin schon vergleichsweise niedrigen Niveau. Die Leitung von Mercedes-Benz do Brasil und die Gewerkschaft CNM/CUT haben bisher verschiedene sozialverträgliche Maßnahmen zur Anpassung des Personalstands an die veränderte Situation vereinbart - z.B. freiwillige Ausscheidensvereinbarungen, Schließtage und Betriebsruhe. In den letzten Jahren haben mehr als 2.000 Beschäftigte über freiwillige Ausscheidungsvereinbarungen das Unternehmen verlassen.

Inzwischen hat die brasilianische Regierung auf die insgesamt schwierige Situation im Land mit einer neuen Initiative zur Kurzarbeit reagiert. Auch dieses Instrument wurde bei Mercedes-Benz do Brasil bereits genutzt. In den letzten zwei Wochen ruhte die Produktion in Sao Bernardo.

Michael Brecht: "Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Regierung in Anlehnung an das Vorbild aus Deutschland das Instrument der Kurzarbeit geschaffen hat. Solche Maßnahmen, die die Interessen der Belegschaft und der Firmen berücksichtigen, gehen in die richtige Richtung."

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Ende Mai 2015 eskalierte die Situation erstmalig: 300 Kolleginnen und Kollegen erhielten die Kündigung. Die Betroffenen protestierten mit dem Aufbau einer Zeltstadt vor dem Werk gegen diese Entscheidung. Weitergehende Maßnahmen zur Personalanpassung, die das Unternehmen zuletzt einforderte und die mit weiteren erheblichen Entgeltkürzungen verbunden wären, wurden von den Beschäftigten mit einer deutlichen Mehrheit von 75 % bei einer Fabrikversammlung abgelehnt.
Das Unternehmen fordert nun erneut einen materiellen Beitrag der Beschäftigten zur Bewältigung der strukturellen Probleme bei MB Brasil - sie sollen die notwendigen Investitionen durch drastische Entgeltkürzungen mitfinanzieren. Die CNM/CUT hat dies vor dem Hintergrund des im Juli ergangenen Votums der Belegschaft in Verhandlungen entschieden abgelehnt, woraufhin die Unternehmensleitung die Verhandlungen in der vergangenen Woche platzen ließ und am Freitag die 1.500 Kündigungen aussprach. Die CNM/CUT rief daraufhin die Belegschaft zum unbefristeten Streik ab Montag dieser Woche auf.

"Wir stehen an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen in Brasilien. Es kann nicht sein, dass 1.500 Familien in eine unsichere Zukunft gezwungen werden. Und es kann auch niemand erwarten, dass die Beschäftigten im Werk akzeptieren, dass Managementfehler der Vergangenheit auf ihrem Rücken korrigiert werden. Angesichts der insgesamt hervorragenden Situation bei Daimler ist eine solche Forderung absolut nicht nachvollziehbar", so Michael Brecht.

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Valter Sanches, Kommunikationsdirektor der in der CUT organisierten ABC Metalworkers Union und Mitglied im Aufsichtsrat der Daimler AG: "Sobald die Kündigungen zurückgenommen worden sind, haben wir wieder eine Basis für Verhandlungen. Wir sind bereit, mit dem Unternehmen einen fairen Kompromiss zu schließen, um die schwierige Situation vor Ort zu lösen."

Zum Hintergrund:

Das Mercedes-Benz Werk Sao Bernardo do Campo im Bundesstaat Sao Paulo besteht bereits seit 1956 und beschäftigt rund 9.900 Mitarbeiter. Das Nutzfahrzeug-Produktionswerk ist das größte Werk außerhalb Deutschlands und ist ein zentrales Element des Produktionsverbundes in Brasilien. Es ist das einzige Daimler-Werk, in dem an einem Standort mittelschwere und schwere Lkw, Busfahrgestelle und Aggregate wie Motoren, Getriebe und Achsen produziert werden. Der Standort beheimatet neben Produktion und Entwicklung auch ein Presswerk sowie administrative Bereiche wie Einkauf, Vertrieb, Marketing und Personal.

CNM/CUT ist die Föderation der Metallarbeiter Brasilien (Confederação Nacional dos Metalúrgicos) organisiert in der CUT (Central Única dos Trabalhadores - Einheitszentrale der Arbeiter). Die CUT ist der größte gewerkschaftliche Dachverband Brasiliens. Sie wurde 1983 gegründet und hat über 3.000 Mitgliedsgewerkschaften - in Brasilien sind die Gewerkschaften auf örtlicher oder regionaler Ebene nach Sparten organisiert. Damit steht die CUT für rund 8 Millionen Mitglieder. Die CNM/CUT organisiert davon 2,4 Millionen Mitglieder.

Letzte Änderung: 24.08.2015