Interview mit Jörg Hofmann

Jörg Hofmann

25.01.2017 Gemeinsam für Gerechtigkeit

Die IG Metall kann auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken: Stabile Mitgliederentwicklung, erfolgreiche Tarifrunden und ein Plus in der Tarifbindung. Die Arbeitszeit ist in den Betrieben und in der Politik Thema. Jetzt startet das Wahljahr 2017 - für die IG Metall mit der großen Beschäftigtenbefragung. Ein Gespräch mit dem Ersten Vorsitzenden der IG Metall, Jörg Hofmann.

Wenn Du zurückblickst, Jörg, bist Du zufrieden mit den vergangenen Monaten?
Jörg Hofmann: Wir haben eine stabile Mitgliederentwicklung. Auch weil sich alle Betriebsräte und Vertrauensleute angestrengt haben, für eine starke IG Metall zu werben und Beschäftigte für uns zu gewinnen. Dafür möchte ich allen an dieser Stelle ganz herzlich danken. Die IG Metall ist damit sehr gut aufgestellt. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen.

Dass die IG Metall eine starke Gemeinschaft ist, haben die vergangenen Tarifrunden eindrucksvoll gezeigt.
Das ist richtig: Rund 800 000 Warnstreikende haben im Frühjahr 2016 in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie ein gutes Ergebnis erkämpft: Nach einer Einmalzahlung von 150 Euro gab es für die Beschäftigen im Juli ein Plus von 2,8 Prozent. Ab April 2017 kommen weitere zwei Prozent dazu.

Die Liste der Beschäftigten, die von Durchsetzungskraft und Stärke der IG Metall profitieren, lässt sich weiter fortsetzen.
In der Holz- und Kunststoffindustrie gibt es neben einem Einkommensplus erstmals einen Demografie-Tarifvertrag, der auch die Altersteilzeit regelt. Höhere Einkommen haben wir auch in einigen Handwerksbranchen durchgesetzt. Und für die Leiharbeitnehmer hat die DGB-Tarifgemeinschaft einen ordentlichen Abschluss erzielt: im Westen jährlich zwischen 2,5 und 3,2 Prozent und im Osten bis 4,82 Prozent. Die Branchenzuschläge für Leiharbeit in den Branchen Metall und Elektro, Holz und Kunststoff, Textil und Bekleidung verhandeln wir gerade, auch bei der Kontraktlogistik sind sie unser Ziel. Insgesamt gilt: Auf diese Ergebnisse können wir alle stolz sein. Und auch darauf, dass von diesen Ergebnissen wieder mehr Beschäftigte profitieren. Seit der Tarifrunde 2016 ist es gelungen, die Tarifbindung und damit mehr Gerechtigkeit in vielen Betrieben wieder herzustellen. Das ist nichts Abstraktes. Denn ein Beschäftigter der Metallindustrie verdient mit Tarif bei gleicher Tätigkeit knapp 20 Prozent mehr als jemand ohne. Also: Gerecht geht nur mit Tarifvertrag.

Wie beurteilst Du die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Jahr?
Die deutsche Wirtschaft bleibt 2017 auf Wachstumskurs - trotz schwieriger Weltwirtschaft. So lauten derzeit die Prognosen der Ökonomen. Die zweite Stufe unseres Tarifvertrags in der Metall- und Elektroindustrie kommt also zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Konjunktur wird von dem Plus in den Portemonnaies der Beschäftigten profitieren. Das Wirtschaftswachstum darf aber nicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen. Der wirtschaftliche Fortschritt muss zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen. Dieser Zusammenhalt ist brüchig geworden. Das wird wohl auch zum wichtigsten Thema im Wahljahr 2017: Zusammenhalt und Gerechtigkeit, um der Zerrissenheit der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Was meinst Du damit?
Die Menschen wollen Gerechtigkeit und wollen Sicherheit. Viele fürchten, dass die Veränderungen, die Globalisierung und Digitalisierung in der Arbeitswelt auslösen, sich gegen sie richten. Veränderung braucht Sicherheit. Darauf muss die Politik glaubhafte Antworten geben.

Wie wird sich die IG Metall im Wahljahr positionieren?
Mitte Januar haben wir unsere große Beschäftigtenbefragung gestartet. Wir hoffen, dass sie wieder so erfolgreich wie 2013 wird. Damals haben sich mehr als eine halbe Millionen Beschäftigte beteiligt. Jede Antwort ist wichtig und zeigt, was den Menschen auf den Nägeln brennt. Das gibt eine gute Orientierung für die Arbeit in den Betrieben. Und wir werden aus den Antworten die Forderungen der Beschäftigten an die Politik formulieren. Mit den Ergebnissen werden wir unsere Vorstellungen für eine arbeitnehmerorientierte Politik und für einen Sozialstaat 4.0 öffentlich bekräftigen und uns mit diesem Votum der Beschäftigten stark und glaubwürdig in den Bundestagswahlkampf einbringen.

Das Thema Arbeitszeit ist ein zweiter wichtiger Frageblock.
Vor einigen Monaten haben wir unsere Arbeitszeitkampagne "Mein Leben - meine Zeit. Arbeit neu denken!" gestartet. Die Arbeitgeber fordern immer mehr Flexibilität von ihren Beschäftigten. Dreischichtbetriebe, Samstags- und Sonntagsarbeit weiten sich aus. Steigende Arbeitszeitguthaben sind oft normal und normal ist leider auch, dass Arbeitszeit nicht vergütet wird, sondern verfällt. Verständlich, dass viele sagen: "Jetzt sind wir mal dran. Flexibilisierung darf nicht zur Einbahnstraße werden."

Und wie soll das gehen?
Wir müssen unsere Gestaltungsmacht beim Thema Arbeitszeit zurückgewinnen. Das beginnt im Betrieb. Etwa bei der Durchsetzung ausreichender Ankündigungsfristen für Zusatzschichten. Oder durch Begrenzung ständiger Mehrarbeit im ohnehin belastenden Schichtbetrieb. Und wir brauchen zukunftsfähige tarifliche Arbeitszeitmodelle. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird immer wichtiger. Viele Beschäftigte möchten gerne ihre Arbeitszeit zeitweise reduzieren, um Zeit für Kindererziehung oder für die Pflege von Angehörigen zu haben. Es gibt da großen Nachholbedarf. Unsere Betriebsrätebefragung zeigt: Über den groben Daumen gibt es nur in zehn Prozent der Betriebe Regelungen. Der Regelfall ist also, einzeln beim Chef betteln zu gehen, um Vereinbarkeit hinzukriegen. Das wollen wir ändern - auch tariflich.

Wie will die IG Metall die vielen Facetten der Arbeitszeit regeln?
Wir haben noch nicht auf alles eine Antwort. Deshalb machen wir ja die Beschäftigtenbefragung. Und deshalb heißt das Arbeitszeitkampagnen-Motto ja auch "Mein Leben - meine Zeit. Arbeit neu denken!". Wir wollen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben diskutieren und aktiv werden. Das ist uns in den vergangenen Monaten bereits gelungen und erste Projekte wurden vor Ort angestoßen. Jetzt sind wir gespannt darauf, welche praktischen Antworten bei der Befragung herauskommen.

Wird die Arbeitszeitkampagne mit der Tarifrunde 2018 erledigt sein?
Nein, da gibt es viele dicke Bretter zu bohren. Da reicht nicht nur eine Tarifrunde. Da müssen wir uns vor allem auch in den Betrieben handlungsfähig aufstellen. Aber wir haben vor, in der Tarifrunde 2018 Forderungen zur Arbeitszeit zu stellen. 2018 ist daher eine wichtige Zwischenetappe.

Anhang:

Grafik IG Metall: Starke Organisation

Grafik IG Metall: Starke Organisation

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Letzte Änderung: 26.01.2017